ANGEDACHT: Allerheiligen

Allerheiligen (c) Bernhard Riedel in Pfarrbriefservice
Allerheiligen
Datum:
Mo. 21. Okt. 2024
Von:
Alexander Schweikert, Pfarrer i. R.

 

 

Unheilig – dieser Name hatte oder hat in der Popkultur als Band einen guten Klang. Aber heilig? Das Wort und die ganze Wort-Familie ist unserer Alltagssprache abhandengekommen: Heiligen, Heilige, Heiligtum, Allerheiligen. Erinnerungen daran kommen von ganz weit her. Wir wundern uns schon sehr; und mit den meisten von uns hat das rein gar nichts zu tun, es sei denn, man erinnert sich noch an seinen heiligen Namenspatron. Aber auch der ist ja oft, wie etwa bei mir, im grauen Nebel der Mythen entschwunden, nicht mehr so recht anerkannt im Martyrologium, dem kirchlichen Heiligenkalender.

Heute, an Allerheiligen, geht es um die anonymen Heiligen, die nicht zur Ehre der Altäre Erhobenen, als heroisches Vorbild und bewährte Fürbitter bei Gott vor uns hingestellt. Heute geht es um die ganz nahen Heiligen, komische Heilige mitunter, zweifelhafte Heilige gar nicht so selten; Heilige, denen wir begegnet sind und die vielleicht nichts weniger sein wollten als Heilige; Heilige auch, die in der Kirche keinen Platz haben; ungehobelte mit viel zu vielen Ecken und Kanten. Gibt es die tatsächlich? Natürlich gibt es die. Und vielleicht könnten sie uns überhaupt erst das Wort heilig wieder zurückgeben.

Heilige, die uns ganz nahegekommen, über den Weg gelaufen sind: Es sind Menschen, die uns an unser Christsein erinnern. Wir haben sie im Alltag unseres Lebens so nötig. Jede und jeder von uns kennt solche Heiligen. Ein wenig nur müssten wir in unseren Erinnerungen kramen – und sie träten uns vor Augen. Ich mag einige von ihnen aus meiner Erinnerung nennen, aus den letzten Jahren, ‚Christseins-Erinnerer‘: Menschen, die sich in ihrer Gemeinde an der Organisation der Flüchtlingsarbeit beteiligen, vielleicht auch mit Zweifeln, aber eben angerührt von einer sehr konkreten Lebensnot; Eltern aus meinem Bekanntenkreis, die sich seit über 30 Jahren hingebungsvoll und doch nicht übergriffig um den schwer behinderten Sohn kümmern; priesterliche Mitbrüder, die verantwortlich mit ihrer schwierigen pastoralen Situation umgehen und dabei auch noch ungekünstelt fröhlich sind, verantwortlich aber auch mit dem Evangelium umgehen, das sie uns verkündigen und auslegen; junge Menschen ganz in der Nähe, die auf Zeit einen Dienst an den sozialen und politischen Brennpunkten in Deutschland oder in Übersee übernehmen, ohne dass sie schon einschätzen könnten, was da auf sie wartet. Und, und, und...

Das sind die Menschen, die dafür sorgen, dass das Christentum unter uns keine Allerwelts-Angelegenheit wird. Sie können uns an unser Christsein erinnern: mit ihrer Freude am Leben und am Engagement für Menschen, mit denen sie eine größere oder kleinere Wegstrecke gehen; mit ihrer Treue, wenn es schwer wird; mit ihrem Dableiben, wenn man selbst nur noch weglaufen möchte, mit einer Zugewandtheit, die mehr ist als eine lächelnde Maske.

Unser Bild zeigt eine leere Mauernische einer Kirche, in der wohl einmal ein Heiliger gestanden hat. Für mich ist es ein Ort, an den genau diese Menschen gehören.  Ich zehre oft von der Begegnung mit solchen Menschen. Sie nehmen ernst, womit sie ihr Leben konfrontiert; sie weichen nicht aus, verdrücken sich nicht; sie stellen sich mit Konsequenz und Hingabe dem, was zu ihrem Leben gehört.

Wir Christen mögen immer den mit sehen, der uns diesen Weg in unser Leben einzeichnet. Ihn bezeugen diese Alltags-Heiligen, oft anonym, als den, der sie ruft. Sie bezeugen ihn, indem sie seinem Ruf folgen, vielleicht nur eine Wegstrecke weit. Sie zeigen mir, dass in einem Leben Konsequenz sein kann: das Ernstnehmen dieses Rufs über meine engen Grenzen hinaus. Was wäre ich, was wären wir, wenn wir die Alltags-Heiligen nicht hätten. Sie verdienen es, erinnert und wertgeschätzt zu werden, so wenig sie oft davon wissen, dass sie Alltags-Heilige sind. Vielleicht sogar gut, dass sie das nicht wissen. Aber ich weiß es, wir wissen es, die wir ihnen immer wieder die Erinnerung an unser Christsein verdanken.

 

Ihr Alexander Schweikert, Pfr. i.R.