In jeder Eucharistiefeier danken wir Gott für „die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“. Was die Natur hervorbringt, betrachten wir als Gottesgeschenk. Einmal im Jahr dann bietet dieser Dank allen Christen Anlass zu einem eigenen Fest, dem Erntedankfest. Fest und Feier zu Erntedank haben zwei Quellen: So lange sich der Mensch als Teil einer göttlichen Schöpfung begreift, wird er Teile dieser Schöpfung, wie z.B. seine Nahrung aus Ackerbau und Viehzucht, auf Gott zurückführen und sich zu Dank verpflichtet wissen. Dies gilt vor allem dann, und dies ist die zweite Quelle, wenn sich der Mensch als abhängig vom Naturkreislauf erfährt, in den unsere Nahrungsgewinnung eingebunden ist. Der Abschluss der Ernte bot darum immer Anlass zum Dank. Wie brüchig aber gerade diese bis dahin oft so selbstverständliche Gewinnung der Ernte war, hat uns die außergewöhnlichen Wetterphänomene der vergangenen Jahre und ihre teilweise dramatischen Folgen für die Landwirtschaft und Infrastruktur deutlich gemacht. Der Mensch greift heute nicht nur in das heranwachsende und das verlöschende Leben. Die Entschlüsselung der genetischen Grundlagen des Lebens nutzt er längst zur Manipulation der Natur. Von der sog. ‚Künstlichen Intelligenz (KI)‘ mal gar nicht zu sprechen. Darf der Mensch aber das alles, was er kann? Ist erlaubt, was – wem auch immer – nützt? Wer bestimmt das notwendige Können, wer den Nutzen? Wo verläuft die Grenze zwischen dem Gebotenen und dem Verbotenen? Wer glaubt, sich niemandem mehr verdanken zu müssen, wer sich selbst für ein absolut selbständiges System hält, der braucht kein Erntedankfest mehr. Den stellen auch Erfolgsbilanzen zum Jahresende zufrieden. Einer Zeit, in der die wirtschaftliche Betrachtungsweise dieser Welt aber immer mehr durch die Sicht der Wechselbeziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt ergänzt wird, täte eine Rückbesinnung auf die Abhängigkeit von der Natur und eine Dankbarkeit Gott gegenüber gut. Aller tatsächliche, notwendige oder bloß vermeintliche Fortschritt, den wir auch so gerne „Errungenschaft“ nennen, darf den Menschen nicht betriebsblind machen: Wir bleiben Teil der Natur und der Schöpfung, selbst, wenn wir in die Natur eingreifen. Vielleicht können wir mit Gottes ‚Materialien‘ umgehen, sie selber einfach schaffen können wir nicht. Das Erntedankfest ist ein Gradmesser für das gesellschaftliche Bewusstsein des Geschaffenseins und der Teilhabe an der Schöpfung, die wir nicht geschaffen haben.
Zufällig fällt in diesem Jahr der Gedenktag des Heiligen Franz von Assisi auf den Vortag des Erntedankfestes. Keiner der Heiligen stand wohl so in Beziehung zur Natur, wie gerade er. Dies zeigt sich in seiner bekanntesten Dichtung, dem ‚Sonnengesang‘. Er spricht davon, wie sehr er in allem, was ihn umgab, er sich eingebunden fühlte in diese Schöpfung Gottes und mit ihr einen geschwisterlichen Umgang pflegte. Die Gestirne, Wasser, Feuer, den Wind und die Erde, ja sogar den Tod spricht er darin mit Schwester oder Bruder an und lobt Gott so gemeinsam mit allen Geschöpfen, besonders aber mit „Bruder Sonne“, in dem er „ein Sinnbild“ des Schöpfers sieht.
In einer sehr schönen Übertragung übrigens findet sich der Gesang in unserem Gesangbuch ‚Gotteslob‘ unter Nr. 466.
Deshalb: Wer heute diesen Sonnengesang liest oder betet oder singt, wird herausgefordert, die Natur zu lieben, ihr Ehrfurcht zu erweisen und sich für ihren Erhalt einzusetzen.
Ein frohes, gesegnetes und dankbares Erntedankfest, besonders auch unserer Bauernschaft.
Ihr
Alexander Schweikert, Pfr. i. R.
Herzliche Einladung zu den Erntedankgottesdiensten am
Sonntag, dem 05.10.2025 um
8.30 Uhr in St. Martin Oberkrüchten und um 11.30 Uhr in St. Bartholomäus Niederkrüchten.