Von jemandem zu sagen, dass er oder sie keinen Durchblick hat, ist eine höchst abfällige Bemerkung, im Geschäftsleben sogar eine vernichtende Kritik. Keinen Durchblick haben, das heißt: die Zusammenhänge nicht erkennen, die Lage falsch beurteilen, fehlerhafte Schlüsse ziehen. Die Folge sind falsche Entscheidungen, die zu einem kleineren oder größeren Chaos führen, vielleicht sogar zum Ruin. Menschen, die keinen Durchblick haben und nicht wissen, wo es langgeht, machen sich und anderen das Leben schwer und kommen leicht in den Ruf nicht nur Chaoten, sondern Versager zu sein.
Der Berg, auf den Jesus seine drei Jünger mitnimmt, ist ein Ort des Durchblicks. Eines völlig überraschenden Durchblicks. Mit einem Mal sehen sie Jesus, wie sie ihn noch nie gesehen haben. Er ist durchlässig geworden. Durchlässig auf das, was er ist - Gott und Mensch. Und da fallen dann Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen in dem, was wir Ewigkeit nennen. Dass Mose und Elija, die Großen des Alten Bundes, hier erscheinen, hat damit zu tun.
Dass Petrus hier Hütten bauen will, ist kein Wunder. Es ist schön auf dem Tabor. Der Blick geht weit über die fruchtbare Ebene. Aber der Ort selbst vermag nichts, als darauf hinzuweisen, dass es unserem Leben als Christen immer wieder um den Durchblick geht. Das Evangelium von der Verklärung - das feiern wir am 6. August - macht eines ganz deutlich: Es geht um keine örtliche, sondern um eine ganz und gar personale Bedeutung. Es ist nicht der Berg. Das Ziel ist Christus selbst, der in seiner Person den Durchblick ermöglicht.
Das Evangelium von der Verklärung ist so etwas wie eine Wegbeschreibung zu Durchblicks-Erfahrungen. Jesus nimmt seine Jünger mit auf den Berg. Durchblick kommt nicht von selbst. Er setzt Mitgehen voraus, Mitgehen mit Jesus, Sich-Einlassen auf ihn, auch auf eine mühsame Bergbesteigung.
Kehren wir zum Anfang zurück. Auch Christen brauchen Durchblick. Ohne Durchblick verlieren wir uns in einer Diesseitigkeit, die nicht tragen kann. Uns selbst nicht und andere nicht. Es gibt keinen schlimmeren Vorwurf, den Menschen uns machen können, als wenn sie sagen müssten: »Sie haben auch keinen Durchblick. Was sollen wir uns mit ihrem Glauben abgeben, wenn sie selbst nicht wissen, wo es langgeht."
Es geht bei den ‚Durchblickserfahrungen‘ nicht um etwas, was aus dem Rahmen fällt. Es geht um die Erfahrungen mitten im Alltag. Der Tabor ist nicht zuerst ein Ort, er ist ein Ereignis, das sich überall ereignen kann, wo wir offen sind. Ein anderer Mensch, die Schönheit der Schöpfung, ein Augenblick wirklicher Stille, ein kleiner oder großer Erfolg. Eine Erfahrung des Gebetes. Momente, in denen wir spüren: Es gibt mehr. Momente, in denen Durchblick geschieht hinein in die Realität hinter der Realität, in das Glück hinter dem Glück. Momente, in denen wir am eigenen Leibe Auferstehung spüren. Momente, in denen der verklärte und österliche Christus erfahrbar wird.
Christen, die sich dafür öffnen, die solche Erfahrungen in ihrem Leben zulassen und sie weitergeben, sind unersetzlich für die Welt. Weil sie wissen, wo es langgeht. Nicht ins Chaos einer sich zerstörenden Diesseitigkeit, sondern in die Zuversicht einer künftigen Welt. Vielleicht haben wir es noch nicht so richtig bemerkt, aber gerade heute sind Christen mit Durchblick gefragt wie nie.
(Bildnachweis: Diözese Wien)