‚Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten...‘ l

Auferstehung (c) Auferstehung
Auferstehung
Datum:
So. 10. Apr. 2022
Von:
Alexander Schweikert, Pfarrer

 

 

Zu den großen Triebkräften des menschlichen Lebens und Handelns gehört die Suche. Denn wer sucht, dem fehlt etwas. Entweder hat er etwas verloren oder er vermisst etwas. Auf jeden Fall: Wer sucht, der ist mit seiner aktuellen Situation nicht zufrieden, will eine Veränderung. Wer sucht, der sagt damit nämlich zugleich: So, wie es jetzt ist, kann oder soll es nicht bleiben. Mir fehlt etwas. Wer also sucht, der hofft auf Verbesserung, die dann eintritt, wenn man das gefunden hat, was man gesucht hat, quasi das Ziel der Suche erreicht hat.  Mit dem Suchen kann man also eine der wesentlichen Verhaltensweisen des Menschen beschreiben, ja sogar weite Teile seiner Lebensgestaltung: Politischer Vernunft sucht in diesen Tagen danach, wie verbrecherischer politischer Unvernunft beizukommen ist oder welche Wege uns nun doch aus den Einschränkungen der Pandemie herausführen könnten; die Gesellschaft sucht nach Unglücken oder einer Straftat nach einem Schuldigen oder Gründen, Jugendliche suchen einen Ausbildungsplatz, Wissenschaftler suchen nach Lösungen für Probleme, Menschen suchen Partner und, und, und... 

Damit berührt eine solche Suche immer auch einen sehr persönlichen und emotionalen Bereich, nämlich den der Sehnsüchte. Und da geht es dann um Liebe und Harmonie, Frieden und Gerechtigkeit, Versöhnung und Wahrheit, Gesundheit und Anerkennung. 

Ein wirklich Suchender verrät viel über sich selbst. Und genau das macht auch die Hauptfiguren im Osterevangelium des Lukas so interessant. Da halten die Engel den Frauen, die das Grab aufsuchen, entgegen: »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?«

Alles trägt den Anschein, als ob die Frauen nur die Bestätigung dessen suchen, was sie bis dahin gedacht und erfahren hatten: Jesus war gestorben, und damit war alles aus. Das Grab aufsuchen, zu den Toten gehen, das war gleichbedeutend mit: Wir haben keine Hoffnung mehr. Eigentlich war das Suchen der Frauen bei den Toten vergebene Liebesmüh, denn sie erhofften sich nur, das zu finden, was sie selbst erwarteten: den toten Jesus bei den anderen Toten. Das, was sie dann aber fanden, warf alles über den Haufen. Es war ein tiefer Einschnitt, ein totaler Neuanfang. Den Toten, den ihr sucht, den gibt es hier nicht. Ihr müsst suchen und zwar den Lebenden; er ist nicht zu finden, wo die Tod-Sicherheiten auf euch warten, wo alles nur feststeht. »Sucht den Lebenden bei den Lebenden!« so ließe sich im Sinne der Engel sagen. Sucht ihn dort, wo etwas Neues beginnt, wo etwas geschieht, mit dem ihr nicht gerechnet habt. Bleibt nicht stehen bei dem, was eh schon immer klar ist und feststeht, sondern wagt es, auf etwas zu hoffen, das noch aussteht.  Der Totgeglaubte lebt, was sucht ihr also an einem falschen Ort?

Fast 2000 Jahre nachdem dieses Osterevangelium niedergeschrieben wurde, gilt auch uns diese Frage: »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?« Auch an diesem Osterfest wird sie uns wieder gestellt. Suchen wir etwa auch nur bei den Toten? Sind wir noch offen dafür, dass es anders kommt, als so, wie wir es erwarten? 

Anders, persönlicher gefragt: Steht in meinem Leben noch etwas aus? Suche ich überhaupt noch etwas? Und: tuen wir das auch bei Erfahrungen des Guten und Schönen, suche ich dann auch noch nach Veränderung und Verbesserung, suche ich dann auch noch den Lebenden, um es mit den Worten der Engel zu sagen, weil sich doch noch nicht alles in dieser Welt erfüllt, weil auch die schönste und beste Erfahrung noch nicht die Erfüllung meines Lebens bedeutet? Suche ich nach einem Neuanfang trotz eines Vertrauensbruches? Hege ich nach Enttäuschungen noch eine neue Hoffnung und glaube ich das trotz all der Dunkelheiten dieser Welt im Augenblick, dass das Leben siegen wird? Glaube ich, dass sich alles Glück schon hier in dieser Welt erschöpft oder doch noch etwas Anderes aussteht?

»Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?« Suchen wir den Lebenden!  Eine Richtung wird schließlich von Lukas im Evangelium noch angegeben, wo die Suche beginnen könnte. Es heißt dort: »Erinnert euch an das, was er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschensohn muss den Sündern ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen.«

Diese österliche Erinnerung - das ist mein Osterwunsch an Sie alle, auch im Namen der Gremien unserer Pfarren und aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - gegen alle Dunkelheiten und Ungewissheiten dieser Zeit.

Ein gesegnetes und frohes Osterfest!        

 Ihr Pastor          

Alexander Schweikert